Jetzt schlägt es quasi dreizehn! Womit wir schon deutlich aufs Ende der ganzen Aktion zurutschen. Aber noch isses nicht so weit! ;o)
Gorf »Electronic Beat Bastards« (2002)
Kapitel 13
Sie goß sich nun doch einen Pernod ein. Ihre Telefonate waren überwiegend zufriedenstellend verlaufen. Die Nachricht vom Tod ihres Mannes hatte sich schon wie ein Lauffeuer verbreitet und niemand machte einen Hehl daraus, mit welcher Freude die Nachricht aufgenommen wurde und man ging ganz selbstverständlich davon aus, daß sein Tod in ihr ebenfalls kein Herzdrücken hinterließ, was ja auch zutraf.
Alle Angerufenen sicherten ihr tatkräftige Hilfe bei der Unternehmensrettung zu. Uneigennützig war das keinesfalls. Jetzt, wo ihr Mann nicht mehr da war, drohte der Kessel zu explodieren, den er all die Jahre im Zaum halten konnte. Wenn sie ihr halfen, Licht in das Dickicht seiner Geschäfte zu bringen, retteten sie sich nicht nur selbst, sondern beabsichtigten auch, näher an seinen Futtertrog heranzurücken.
Die Karten wurden gerade neu gemischt und sie, die M., würde sie verteilen. Daß sie dabei Zugeständnisse machen mußte, war ihr klar.
Teile und herrsche! Das würde ihr Credo sein. Damit würde sie besser fahren als ihr egozentrischer Mann. Sein Absolutismus hatte ihn ins Grab gebracht. Sie schenkte sich nach und rief in der Schweiz an. Sie kannte dort einen netten kleinen Friedhof …
Der Joker wußte, wer sie war. Er hat es vielleicht nicht von Anfang an gewußt, aber spätestens, als er zu ihr in das Lokal kam. Er war nicht Macht seiner Gewohnheit dorthin gekommen, wie sie gehofft hatte; nein, er hat ihr eine Audienz gewährt.
Ohnmächtige Wut stieg in ihr hoch, aber sie war eine zu gute Schauspielerin, um es ihn merken zu lassen. Sie hatte ihm sowieso schon zu viel erzählt. Niemand ist vollkommen. Auch der Joker nicht. Er konnte ihr entweder zu hören und auf ihr Geplapper eingehen oder den Lügendetektor spielen. Beides zusammen ging nicht.
Er verhielt sich nicht so, als hätte er die Chance, eine attraktive junge Frau kennenzulernen. Er betrachtete sie nicht wie eine Frau, die ihm ihre Zuneigung antrug, sondern er beobachtete eine Laborratte. Sie war seine Ratte. Woher wußte er es? Egal, auch Ratten haben Zähne. Er war also im Bilde.
Warum war er dann hier? Weil er nicht wußte, was er tun sollte. Er konnte die Brisanz der Dokumente nicht einschätzen und mußte sie unbedingt zu Geld machen. Gut, sie hatte auch nur eine vage Vorstellung, um was für Unterlagen es sich handelte, aber sie kannte ihren Preis und hatte einen Abnehmer dafür.
Das Geld, was er ihr dafür geboten hatte, war nur ein Bruchteil von dem, was sie wirklich wert waren, aber es würde ausreichen, um die nächsten Jahre sorgenfrei leben zu können.
Daß sie untertauchen mußte, war ihr völlig klar. Sie hatte Joe erschießen müssen. Einen Mann, den sie verehrte und für den sie so etwas wie Zuneigung empfand. Auch er war ihr gegenüber nicht frei von Gefühlsregungen gewesen. Ein Umstand, der ihn erschreckte, den er aber zuließ.
Vorbei, er war tot und sie eine heiße Kartoffel, an der man sich die Finger verbrennen konnte. Daß der Joker zu ihr gekommen war, ließ sie hoffen, das Blatt noch wenden zu können. Sie spielte sein Spiel mit, hakte sich bei ihm unter und plapperte weiter auf ihn ein.
Für die beiden Polizisten war der Besuch bei Mac Donalds Besuch auch wenig erfreulich. Die Pommes waren matschig und fad, und bevor sie sich darüber beschweren konnten, lief ihnen dieser Kleindealer in die Hände, nach dem die Fahndung seit Monaten lief und die sie seit Monaten ignorierten. Er war noch ein halbes Kind, aber eben ein Dealer.
Sie schleiften ihn in ihren Dienstwagen, um ihn in einer Seitengasse wieder laufen, besser kriechen, zu lassen, denn sie schlugen ihn vorher krankenhausreif. Das war ihre Auffassung von Pädagogik und Strafvollzug.
Wenn sie ihn festnahmen, wäre er eine Stunde später wieder frei. Verurteilt werden würde er, wenn überhaupt, in drei bis vier Jahren und erst dann, wenn seine Straflatte so hoch war, daß sich ein Verfahren gegen ihn lohnte. Wer weiß, was er bis dahin noch alles anstellen würde. So bekam er eben regelmäßig Prügel.
Das machte ihn zwar nicht besser, aber die beiden hatten wenigstens das gute Gefühl, etwas getan zu haben. Als er sich an einer Hauswand blutig erbrach und in das Erbrochene zusammenrutschte, befanden sie, daß eben jeder so seine Probleme hatte und für heute der Gerechtigkeit Genüge getan war, und sie beschlossen, bis zum Dienstschluß im Revier Kaffee zu trinken.
Er war dabei, den größten Fehler seines Lebens zu begehen. Sein Übermut forderte seinen Tribut. Sie lag vor ihm. Nackt, und er hatte sie gevögelt. Hier in einem Stundenhotel, wo ihn keiner kannte. Es war nicht seine Idee. Sie hatte ihn hierher gelotst, in das Bett gezerrt und versucht, mit ihm Klartext zu reden. Er hat es geschehen lassen, weil er wissen wollte, wie weit sie gehen würde, um an die Unterlagen zu kommen. Dabei war ihm dies völlig klar.
Er wußte genau, wie es in seiner Laborratte aussah und hat ihre Verzweifelung genutzt, um sie noch zu demütigen. Sie hat ihn angebettelt und sie hat sich vor ihm erniedrigt – tiefer kann eine Frau nicht sinken.
Er war nur ein Verlierer, so erfolgreich er auch war, und letztendlich war er auch nur eine Ratte. Aber die Ratte, die gewonnen hatte. Das war der Unterschied.
Sie zu fesseln, war der größte Fehler seines Lebens. Ach, hätte er sie doch einfach erschossen. Gut, er war kein Killer. Ihr die Knie zu brechen, wäre ausreichend gewesen.
Die Handschellen fand er in der Schublade des Nachttisches – eine kleine Aufmerksamkeit des Hauses. Sie wehrte sich nicht, als er sie ihr anlegte und sie damit an das Bett fesselte. Ihren Revolver legte er in die Nachttischschublade und das Zimmer bezahlte er noch für die nächsten drei Tage. Ehe man sie finden würde, wäre er schon über alle Berge, so hoffte er. In den Staaten, unerreichbar für sie.
Rummelsnuff »Wenn du aus dem Leben schwindest« (»Sender Karlshorst«, 2010)
24.11.2011
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Genau. Es folgen noch drei Kapitel, voll mit überraschenden Wendungen, bevor die Frage, um was es überhaupt geht, in Ansätzen geklärt wird. Bleiben sie dran, bleiben sie aktuell, damit sie weiter mitreden können!
AntwortenLöschenUnd bei der nächsten Literaturnobelpreisverlosung behaupten zu können, es schon immer gewusst zu haben! ;o)
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