N bisschen später geworden heute, um, wie es der liebe Kollege ankündigte, als Vorabendserie durchzugehen. Was soll´s, besser spät als nie! Anonsten, frei nach Schummelschumi: kurze Rede, langes Kinn... und los!
Joan Jett & The Blackhearts »Cherry Bomb« (1985)
Kapitel 6
Das Telefon riß sie zum wiederholten Male aus ihren Gedanken. Wer immer das auch war – er würde sich gedulden müssen. Sie hatte jetzt keine Muße für irgendwelchen Tratsch, und ihr Bedarf an Neuigkeiten aller Art, war für heute gedeckt.
Ihre Bekanntschaft von gestern würde sie dann abholen. In seiner schnoddrigen Mail stand nicht wozu und wohin, aber wenn ihr aus ihrer wilden Zeit etwas geblieben war, so das Gespür für Männer.
Er hatte Stil und er hatte Geschmack, also würde er sie erst in ein teures Restaurant führen und dann in ein Konzert oder das Theater einladen. Sehr zuvorkommend würde er sein, und sie nur sehr sparsam mit Komplimenten versorgen. Sie wird das nicht hinnehmen und auf die gesamte Palette ihrer Verführungskunst zurückgreifen, so lange, bis er anfinge, sie zu umwerben. Dann hätte sie ihre Genugtuung und er würde da landen, wo alle Anderen landeten – in der uninteressanten Ecke.
Nein, dieses Mal würde sie auf das Machtspiel verzichten müssen. Für so etwas war er nicht zu haben und er würde sich höflich, aber bestimmt zurückziehen. Das wollte sie nicht riskieren.
Sie beschloß, noch einmal duschen zu gehen. Daß es der Dreck ihrer vergangenen Jahre war, den sie sich von der Seele spülen wollte, würde sie nie zugeben. Nicht einmal vor sich selbst.
Ihre Kleider ließ sie auf dem Weg ins Badezimmer so lasziv fallen, als würde sie für den späteren Abend proben – dabei wußte sie genau, wie sie sich zu bewegen hatte, um einem Mann endgültig den Todesstoß zu versetzen.
Lächelnd hörte sie noch, wie das Telefon erneut klingelt und er ihr auf den Anrufbeantworter sprach. Dieser Depp! Der Anruf war unnötig und verriet ihr nur, wie nervös er war. Seine Unruhe schmeichelte ihr. Sie konnte nicht ahnen, daß er aus einem ganz anderen Grund aufgeregt war.
Im Park war es naß, kalt, und es wurde dunkel. Es gab tausend Gründe, zu dieser Zeit an einem anderen Ort zu sein. Alles war besser, als hier herumzustehen. Hier zwischen Gestrüpp und Nieselregen. Aber nur von hier aus konnte man den Hauseingang der M. sehen, ohne selbst gesehen zu werden. Der Joker mußte hier bald auftauchen. Sein Auftraggeber war tot. Wenn er es auch noch nicht mit Bestimmtheit wußte, so ahnte er es zumindest.
Ihre Kugel traf ihn mitten zwischen den Augen, als er den Zündschlüssel ins Schloß stecken wollte und ihrer gewahr wurde. Sie hatte keine Wahl.
Doch, die hatte sie. Die Alternative wäre gewesen, ihn am Leben zu lassen und unterzutauchen. Ohne Geld, ohne Perspektive und mit der Gewißheit, daß sie irgendwann von so einem Typen wie dem Joker gefunden werden würde. Das kam nicht in Frage.
Seinen Tod hatte er selbst zu verantworten. Man kramt nicht in der Handtasche seiner Sekretärin, auch wenn es sich dabei um die Geliebte handelte. Andererseits war es ihr Fehler gewesen, dort den USB-Stick mit all seinen Paßwörtern und Zugangsdaten aufzubewahren.
Dabei mußte er nichts von dem fürchten, was sie gefunden hatte. Das was sie vergeblich gesucht hatte, war sein Untergang – und Beide wußten, wo sie den jetzt finden würde.
Das Wasser rauschte an ihrem Körper herab. So luxuriös, wie vor Jahren war er nicht mehr. Das mußte sie sich eingestehen. Aber sie hatte auch das seltene Glück, daß ihr das Alter nicht allzuviel anhaben konnte.
Sie blieb attraktiv, und heute Abend würde sie an die Triumphe längst vergangener Jahre anknüpfen. Pietätvoll wäre das sicher nicht – davon abgesehen, daß die Rolle der trauernden Witwe ihr sowieso keiner abnehmen würde – aber durch dieses Abenteuer gewänne sie Abstand zum Tod ihres Mannes und was dieser für sie bedeuten könnte.
In seiner Pension rückte er sich den Krawattenknoten zurecht. Der Spiegel war übermannsgroß und so breit, daß er hinter sich das halbe Zimmer und die Bettcouch sehen konnte. Ihr Bett war doppelt so groß.
Im Grunde hatte er keine Wahl. Sein Auftraggeber war mit Sicherheit tot. Trotz des lausigen W-LAN Empfangs – hier war einfach alles lausig – konnte er noch einmal seinen Posteingang sichten. Nichts. Auch die Ausweichvariante, eine belanglose telefonische Nachricht über die Pension, war ausgeblieben.
Das hieß, daß sein Geldgeber aus dem Rennen war. Ob tot oder nicht. Er könnte jetzt einfach die Dinge laufen lassen, egal was und ob überhaupt etwas passierte. Aber so würde er einen dicken Fisch von der Angel lassen und das konnte er sich nicht leisten. Diese Nacht mußte er die Unterlagen im Tresor sichten. Er mußte jetzt wissen, um wieviel Geld es ging und vor allem, wem die Dokumente viel Geld wert waren. Skrupel kennt kannte er dabei nicht. Zur Not würde er auch die M. erpressen, nachdem er die Dokumente in Sicherheit gebracht hätte.
Soviel er wußte, kannte jetzt nur noch er die Zahlenkombination für ihren Safe. Sicher hatte sein Klient sie irgendwo hinterlegt, aber so schnell würde da wahrscheinlich keiner ran kommen. Zumindest würde er ein, zwei Tage Vorsprung haben.
Der Chauffeur war für gewöhnlich pünktlich. In einer halben Stunde würden sie sich an der Metro-Station treffen, um den Verlauf des Abends abzusprechen. Er war sich im Klaren darüber, was er ihr bieten mußte und was sie von ihm erwartete. Bei dem Gedanken an Letzteres mußte er grinsen. Gut, das Spiel möge beginnen. Er zog die Tür hinter sich zu. Wenn er langsam liefe, wäre er ohne warten zu müssen rechtzeitig da.
Sie fror, und sie kämpfte gegen ein Gefühl der Einsamkeit an. Sie war allein. Schon immer. Gewöhnlich kam sie damit gut zurecht. Sie brauchte niemanden, der sie brauchte. Nur manchmal, so wie jetzt, sehnte sie sich nach etwas Rückhalt und Geborgenheit.
Er mußte jetzt bald kommen. Aber damit war die Warterei nicht zu Ende. Im Moment konnte sie nichts tun. Nichts Kluges zumindest. Alles hing von ihm ab. Die Unterlagen waren viel Geld wert. Er konnte den Tresor öffnen, sie selbst nicht. Die Zahlenkombination war bei ihm, M.’s Mann, nicht zu finden gewesen. Aber sie war sich sicher, daß der Fuchs sich ein Hintertürchen offen gelassen hatte. Seine Frau war nicht eingeweiht. So viel wußte sie. Aber er hatte sicher einen Weg gefunden, daß sie im Ernstfall – im äußersten Notfall – den Safe öffnen konnte. Die Chiffre mußte also in der Wohnung so versteckt sein, daß man sie ohne Hinweis nicht finden konnte.
Dem Joker hatte er die Kombination gegeben. Das und die Tatsache, daß nie jemand geahnt hatte, daß nie jemand etwas von seiner Existenz geahnt hatte), sagten ihr, daß sie ihn sehr ernst nehmen sollte.
Sie mußte jetzt hier warten und sehen, was passierte. Vielleicht gingen die beiden ja aus. Dann konnte sie sich zumindest in der Wohnung umschauen. Ansonsten mußte sie auf morgen warten, und darauf vertrauen, daß der Joker ihrem Charme erläge.
Leshak »Was wollen wir trinken« (»Chertovorot«, 2009)
Лешак »Was wollen wir trinken« (»Чертоворот«, 2009)
07.11.2011
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Vielen Dank für´s Gespräch! ;o)