Höhere Gewalt, technische Umstände, was auch immer. Diesmal eben nach vier und nicht nach zwei Tagen, aber immerhin, besser spät als nie, los geht´s... ;o)
Christian Mistress »Omega Stone« (»Agony & Opium«, 2010)
Kapitel 7
Das Erbe war rasch verteilt. Ihr gehörten zwei Drittel und ihr Onkel bekam den Rest. Hocherfreut übernahm er auch die Geschäfte ihres Vaters. Aber so sehr er sich auch bemühte, an dessen Erfolge anzuknüpfen – es gelang ihm nicht. Auch er wurde immer lichtscheuer, und man bekam ihn nur noch selten zu sehen.
Als eine große Hilfe erwies sich der Privatsekretär des Verblichenen. Ohne ihn wäre er in dem Dschungel der Firmengeflechte und Teilhaberschaften hoffnungslos untergegangen. Es gab keine Unterlagen mehr und die, die er sichten konnte, brachten kein Licht in das Dunkel der Geschäftsgebaren ihres Vaters.
Eines Abends stand er dann völlig unerwartet und aufgelöst vor ihrer Tür, um mit ihr über die gemeinsamen Unternehmen reden zu wollen. Er war nervös und schlug ihr einen seltsamen Handel vor. Er hatte die Absicht, sich aus den Geschäften zurückzuziehen und die ihm gehörenden Anteile auf sie zu übertragen. Sie wäre dann die Alleinbesitzerin von Allem, was ihr Vater besaß. Im Gegenzug wäre er mit einer monatlich zu zahlenden Summe, die 30% der Zinserträge des Barvermögens betragen sollte, auf Lebenszeit zufrieden.
Sie war damals von seinem Ansinnen sehr überrascht und bat sich eine Bedenkzeit aus, worauf er sofort einging und ihr außerdem vorschlug, den Sekretär ihres Vaters als Teilhaber zu übernehmen und ihm die Geschäfte zu übertragen.
Damals hatte sie sich von ihrem Zusammenbruch halbwegs erholt und ihr Leben in geordnete Bahnen zu bringen. Selbst leiten konnte sie die Firma nicht, daß war ihr völlig klar. Das überstieg bei weitem ihre Möglichkeiten. Einem Mann als Teilhaber, der noch dazu ihre Geschäfte führen sollte, konnte sie allerdings nicht vertrauen.
Eine andere Lösung mußte her, mit der sie alle Fliegen mit einer Klappe schlagen konnte. Sie stimmte den Vorschlag ihres Onkels, was die Leibrente betraf, zu, auch wenn ihr die Höhe der Summe den Atem nahm. Daß er damit auf einen Großteil der ihm zustehenden Einnahmen verzichtete, war ihr klar – aber warum er dies tat, war ihr ein Rätsel.
Den gepriesenen Sekretär heiratete sie kurzerhand. Damit stand ihrem geordneten Leben und ihrer gesellschaftlichen Reputation – ihre Jugendsünden waren mit der Hochzeit weitestgehend verjährt und verziehen – nichts mehr im Weg, und ihrem frischgebackenen Mann eröffnete sich der Weg in Kreise zu denen ihm sonst der Zugang verwehrt geblieben wäre.
Natürlich mußte er einen Ehevertrag schlucken, den sie aber als fair betrachtete. Im Falle einer Scheidung blieb ihm ein bißchen vom Zugewinn und sonst nichts.
Wie sie später erfahren mußte, war der Vertrag eine Farce und nichts wert. Er hätte ihr gesamtes Vermögen »verschwinden« und sie geschröpft bis auf das Hemd im Regen stehen lassen können. Wie naiv sie doch in derlei Dingen war! Aber das tat er nicht. Im Gegenteil. Er war dort angekommen, wo er hin wollte. Er hatte eine gebildete, höchst attraktive Frau geheiratet, die in dem Ruf stand, von einem Mann nicht gebändigt werden zu können und die ihm die Tür in die große weite Welt öffnete. Ohne sie war er nur ein billiger Geschäftsmann, mit ihr der prominente Global-Player. Was konnte er mehr wollen?
In Bezug auf den Umgang mit dem anderen Geschlecht ließen sie sich gegenseitig völlig freie Hand, mit der Einschränkung, diese Angelegenheiten diskret, ohne Aufsehen und Nachwirkungen, über die verdunkelte Bühne zu bringen. Die Gefahr, daß er sich dabei verlieben könnte mitsamt all den damit verbundenen Unwägbarkeiten, schätzte sie als gering ein. Er war ein reiner Vernunftmensch, für den Gefühle so etwas wie eine beginnende Krankheit waren. Sie war sich sicher, die Zügel in der Hand und so die Oberhand über ihn behalten zu können. Bis ihr erste Zweifel kamen.
Dank des kleinen Lädchens des alten Dimitri war er mit allem Nötigen versorgt. Zigaretten, einem kleinen Wodka für den Notfall. Mehr benötigte er nicht. Er läutete zweimal kurz. Durch das Auge der Kamera betrachtete sie ihn vermutlich noch einen Moment lang, bevor er ihre Stimme vernahm.
»Ich bin soweit, oder wolltest du noch kurz auf einen Drink rauf kommen?«
Natürlich wollte er das. »Nein danke, wenn es dir recht ist, können wir sofort gehen.« Man will ja nicht gleich mit der vielzitierten Tür ins Haus fallen.
»Gut, bis gleich.« ließ sie ihn wissen.
Es knackte in der Gegensprechanlage und er nutzte die Zeit bis zu ihrem Erscheinen, um eine weitere Zigarette zu rauchen. War er nervös, fragte er sich selbstkritisch? Nein, natürlich nicht, belog er sich selbst. Nach einer Weile öffnete sich die Tür und sie erschien in einem eleganten schwarzen Kleid, reizend, aber dezent; darüber ein leichter Mantel, ebenfalls sehr elegant, wie er feststellte.
Als er klingelte, war sie fertig angezogen, dezent geschminkt und hatte sich gerade eine Zigarette angezündet. Sie blickte auf die Uhr und stellte fest, daß er fast auf die Sekunde pünktlich war. Vermutlich hatte er draußen vor der Tür gewartet.
Sie haßte Unzuverlässigkeit und Unpünktlichkeit. Beides duldete sie weder bei sich selbst noch bei anderen.
Die Zigarette drückte sie aus und wandte sich zum Gehen. An der Tür warf sie einen Blick zurück. Aus diesem Blickwinkel würden sie die Wohnung wieder betreten. Sie war mit dem Anblick zufrieden. Die Flasche Pernod war verschwunden und sie hatte so aufgeräumt, daß man nicht sah, wie strategisch durchdacht sie alles platziert hatte.
»Hi!« Sie küßte ihm die Wange. »Nettes Parfüm«, lächelte sie ihn an und er wußte zunächst nicht, ob sie scherzte oder nur ihre ehrliche Meinung kund tat.
Wie auch immer, also sagte auch er »Hi!«, küßte ihr ebenfalls die Wange, sah ihr tief in die Augen und bemerkte, zum Gegenangriff fest entschlossen, »...du siehst umwerfend aus!«. Er bot ihr Feuer an, als sie sich eine Zigarette zwischen die grellroten Lippen klemmte, dann schlenderten sie die Straße entlang.
»Balkanküche, ich meine, ich hoffe, du magst das?« stammelte er mehr, als er fragte.
»Natürlich. Dritte Kreuzung links?« antwortete sie.
»Genau, dritte Kreuzung links, ich sehe, dich kann so schnell nichts überraschen. Die haben gutes Essen, deftig, reichlich. Ich hoffe, du hast nur halb so viel Hunger wie ich!«
»Mindestens, wenn nicht gar doppelt so viel!«. Sie lachten und waren im Handumdrehen am Restaurant angekommen.
»Meine Dame, darf ich ihnen den Mantel abnehmen?« begrüßte der Wirt beide mit einem übertriebenen Lächeln. »Der Tisch da auf der rechten Seite, mit den Kerzen und den Rosen, ist für Sie reserviert!«. Er wies mit einem Winken in eine gemütliche Ecke.
Sie bestellten Wein, einen leichten Weißen, schließlich hatten sie noch nichts gegessen. Zu viel versprochen hatte er nicht, die Portionen waren wirklich größer als gewöhnlich; und ihr Muckalica, Schweinefleisch mit Zwiebeln, Paprika und Tomaten, empfand sie auch geschmacklich als treffliche Wahl. Er hatte ihr sein Lieblingsgericht empfohlen und sie genossen beide das Gleiche.
Im Anschluß bestellten sie Espresso und Slibowitz. Sie sprachen über Belanglosigkeiten, die Stimmung war sehr heiter.
»Wo schleppen Sie mich heute noch hin, mein Herr?« fragte sie ihn.
Wie auf Kommando hielt er ihr zwei Karten für die Oper entgegen.
Sie lächelte ihn kokett an. Hab ich doch gleich geahnt, mein Lieber, dachte sie, irgendwas in der Art paßt einfach zu Typen wie dir; sie freute sich und freute sich einmal mehr über ihre Männerkenntnis.
»Pelléas et Mélisande« erläuterte er, mit dem wissenden Gesichtsausdruck eines Opernkenners, »von Claude Debussy. Schon gesehen?«.
»Nein.« entgegnete sie wahrheitsgemäß, wobei es ihr eigentlich egal war, in was für ein Stück er sie ausführte. Sie bedankte sich artig für das Essen und versicherte ihm ihre Freude auf den gemeinsamen Abend in der Oper, worauf er sich kurz entschuldigte, um auf der Toilette, die dem Rest des Restaurants an Niveau um einiges nachstand, einen Blick in den Spiegel und anschließend auf seinen Wodkavorrat zu werfen.
»Schöne Scheiße!« fluchte er, als er feststellte, daß er nur noch die Hälfte übrig hatte.
Andererseits lief eigentlich alles nach Plan, wozu also die unnötige Nervosität? So ging er also zurück zum Tisch und winkte den Wirt heran, um die Rechnung zu begleichen.
Dieser bedankte sich überschwenglich und verhalf seiner Dankbarkeit mit einem weiteren Slibowitz zum Ausdruck. Also rauchten sie noch eine weitere Zigarette und leerten die Gläser, bis sie ihrerseits die Nebenräume aufsuchte. Sie verspürte ebenso das Bedürfnis, einen Moment allein zu sein, um sich zu sammeln, sich zu konzentrieren. Die zurechtgemachte Linie Kokain auf dem Waschbeckenrand wischte sie mit einer hektischen Handbewegung weg, eine törichte Idee, jetzt zu koksen, und sich damit die Sinne zu vernebeln, denn der Abend versprach auch ohne diese schlechte Angewohnheit sehr angenehm zu werden. Sicher, das Richtige getan, oder besser, nicht das Falsche getan zu haben, kehrte sie zurück und schenkte ihm ein aufreizendes Lächeln. Zeit zu gehen.
Secret Service »Cry Softly (Time Is Mourning)« (»Cutting Corners«, 1982)
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Vielen Dank für´s Gespräch! ;o)