06.11.2011

Rattenkampf, Teil 5

Da bei diesem, für November absolut unglaublichen Sportmützenwetter die Aktivitäten eher unter freiem Himmel stattfanden, wurde das folgende Kapitel noch richtig schön oldschool mit Papier und Stift korrekturgelesen. Die Verfasser senken wieder mal dankbar die leeren Hülsen ihrer karg möblierten Oberstübchen! ;o)

Na dann mal los...


November Növelet »Entry« (»From Heaven On Earth«, 1999)


Kapitel 5

Er rang mit sich. Doch irgendwann war ihm klar: Wenn er dran bleiben wollte, mußte er jetzt handeln. Also besorgte er Karten für die Oper und reservierte einen Tisch in einem Restaurant, welches sich der Balkanküche verschrieben hatte. Dort war man relativ allein und obendrein gab es deftige Portionen - eine Tatsache, die bei der Wahl des Lokals eine große Rolle spielte, denn er hatte seit Stunden unbändigen Hunger und befürchtete, daß der Wodka ihm aufgrund mangelnder Nahrungsgrundlage die Sinne schneller vernebeln könnte.
Er wählte ihre Nummer, doch als sich nur der Anrufbeantworter meldete, legte er wieder auf. Warum nur? Wahlwiederholung - unter Zuhilfenahme des
Anrufbeantworters teilte er ihr mit, daß er sie später abholen wolle. Und daß sie sich etwas Elegantes anziehen möge. Nach dem Auflegen schalt er sich einen Deppen: als wäre es vorstellbar, daß sie mal nicht elegant auftreten würde!
Außerdem wußte sie, wann er sie abholen würde. So verriet er ihr nur, wie nervös er war. Gut, sie würde dies zu ihren Gunsten werten. Er nahm eine Dusche und durchsuchte seinen E-Mail- Eingang nach der Nachricht, die einfach nicht eintreffen wollte.

Ihre Ehe bestand nur auf dem Papier. Von Anfang an. Der Adel, besonders der Geldadel, heiratete nicht aus Liebe, sondern weil es notwendig wurde.
Das Firmenimperium gründete ihr Vater nach dem Krieg, mit dem Geld, das seine erste Frau mit in die Ehe gebracht hatte. Dieses hatte ihr Vater durch windige Geschäfte in Budapest erlangt und als Seifenfabrikant fast wieder verloren. Aufgrund seines frühen Todes in einem Schweizer Sanatorium – Tuberkulose – hatte sie den Rest seines Vermögens retten und ihrem Gatten anvertrauen können. Das war alles, was sie zur Familienchronik beigetragen hatte.
Sie starb im Jahr ihrer Hochzeit in einem Schweizer Kurort, an den Folgen einer seelischen Erkrankung und einer Überdosis Schlaftabletten. Ihr Mann heiratete kurz darauf die Frau, die ihre Mutter werden sollte, und diese Ehe blieb, bis auf ihre Geburt, folgenlos.
Während ihre Mutter in Schweizer Kliniken genau wie ihre Vorgängerin auf Heilung hoffte, wuchs sie selbst gut behütet in verschiedenen Internaten des Alpenlandes auf. Ihre Eltern sah sie nur zu den obligatorischen Familientreffen. Was sie trieben und wer sie waren, blieb ihr unbekannt. Sie finanzierten ihr jeden Unfug und jede Schrulle vorbehaltlos.
Mit 18 Jahren bekam sie ihr eigenes Rennpferd, welches sie nur einmal sah und welches nie ein Rennen bestritt und aus einer Laune heraus bald eingeschläfert wurde. Sie studierte in Paris, Prag und London Kunst- und Kulturgeschichte, Semiotik, klassischen Gesang, amerikanische Literatur und noch einiges anderes mehr, ohne etwas davon zu Ende und zu einem Abschluß zu bringen.

Das Einzige, wofür sie sich wirklich nachhaltig interessierte, waren Männer aller Gesellschaftsschichten und Altersklassen. Sie studierte diese Wesen mit solch einer Inbrunst und Skrupellosigkeit, daß sie bald den Status einer Persona non grata, nicht nur in allen vornehmen Häusern Europas, sondern auch in jeder schmierigen Hafenkneipe von Marseille bis Wladiwostok genoß.
Ihr Lebenswandel wurde von ihrer Mutter in allen Belangen unterstützt. Diese bewunderte und beneidete ihre Tochter für ihre zügellose Freiheit und verhinderte alle Versuche ihres Vaters, der zumindest in familiären Dingen auf seinen Ruf bedacht war, diesem Treiben ein Ende zu bereiten.


Partenaire Particulier »Elle est partie (Extended version)«
(»Elle est partie/Elle n'aimait pas les garçons«, 1986)


Während ihrer wilden Zeit, wie sie ihren Orientierungslauf nannte, sah sie ihre Eltern in einem Monat öfter als während ihrer gesamten Kindheit. Mit Ende Zwanzig kam dann unweigerlich, ohne Vorwarnung und Anlaß, ihr erster seelischer Zusammenbruch. Von der wilden, flippigen Partymaus war über die Nacht nichts mehr übrig geblieben.
Die Erkenntnis, daß ihr bisheriges Leben völlig sinnlos und inhaltslos verlaufen ist, traf sie völlig unvorbereitet. Ihre Bestandsaufnahme war ernüchternd und deprimierend. Sie konnte außer ein paar Schwangerschaftsabbrüchen und einer manifestierten Ziellosigkeit nichts Bleibendes vorweisen.

Ihr weiteres Leben wurde dann von wechselnden Sinnkrisen, schweren Depressionen und Drogenexzessen geprägt. Auf Anraten ihres Vaters, den sie bei dieser Gelegenheit das letzte Mal sah, ließ sie sich in ein Schweizer Sanatorium einweisen.

Ihre Mutter war kurz zuvor in derselben Klinik verstorben. Ihre Paranoia hatte zuletzt immer schwerere Formen angenommen. So fühlte sie sich von jedem Schriftstück bedroht. Egal, ob es ihre Krankenakte, eine Zeitung oder eine Eintrittskarte war – jedes beschriebene Papier löste in ihr schwere Panikattacken aus, die nur durch hohe Dosen Valium gedämpft werden konnten.
Nach einer versehentlichen Überdosierung erlitt sie einen Atemstillstand, der auch durch sofortige ärztliche Hilfe nicht beendet werden konnte. Ihr Vater akzeptierte diesen, von der Klinikleitung eingestandenen Umstand, verzichtete auf dessen Sühnung, und man vereinbarte, aus Rücksicht auf das Ansehen der Heilstätte und deren Patienten, Stillschweigen über diese Panne.

Kurz darauf starb auch ihr Vater unter mysteriösen, nie geklärten Umständen. Er hatte es im Laufe der Jahre zu ansehnlichem geschäftlichen Erfolg gebracht. Die Spuren seiner Aktivität waren weit gestreut und kaum zu übersehen. Er besaß selbst mehrere Unternehmen, war an anderen beteiligt oder kaufte sie, schrumpfte sie gesund und verhökerte sie gewinnbringend weiter.
Dabei hatte er sich den Ruf eines harten Hundes erworben, der seine Interessen rücksichtslos durchsetzte. Man munkelte, daß vieles davon nicht ganz legal ablief und daß er nicht nur die sprichwörtlichen Leichen im Keller beherbergte.
Vor seinem Tod sei er auffällig lichtscheu geworden. Er verließ das Haus nicht mehr allein und machte einen nervösen und fahrigen Eindruck. Seine geschäftlichen Aktivitäten fuhr er auf das Notwendigste zurück und agierte sehr zurückhaltend.
Eines Tages fand ihn seine rechte Hand, sein junger Privatsekretär und Vertrauter, erschossen vor dem geöffneten Firmentresor liegend. Im Kamin lagen hastig verbrannte Dokumente, aber man vermutete, daß der größte Teil der im Tresor aufbewahrten Unterlagen verschwunden war. Einen Beweis dafür gab es nicht.

Sein Privatsekretär konnte nur vage Angaben über den Inhalt des Safes machen; ob sich der Firmengründer wirklich selbst erschossen hatte, wie es den Anschein erweckte, konnte nicht endgültig geklärt werden.


Mike Oldfield »Man In The Rain« (»Tubular Bells III«, 1998)

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Vielen Dank für´s Gespräch! ;o)